Tomas Tranströmer, einer der bedeutendsten europäischen Lyriker nach dem 2. Weltkrieg, ist gestorben. Die Dichtung des studierten Psychologen wurde in mehr als 60 Sprachen übersetzt und 2011 erhielt er den Literatur-Nobelpreis, damals eine große Überraschung bei den zuvor hochgehandelten Namen Roth, Dylan , Murakami und DeLillo.
Tomas Tranströmer
Seit einem Schlaganfall 1990 war seine Sprach-und Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkt und das Schreiben selbst wurde eines seiner Hauptthemen.
Ich mag die dichten Bilder, die wir von ihm bekommen, selbst zu den scheinbar unbedeutendsten Alltäglichkeiten eröffnet er neue, weite Räume.
Über seine Gedichte sagt Tranströmer selbst:
Meine Gedichte sind Orte der Begegnung. Sie wollen eine plötzliche Verbindung zwischen Teilen der Wirklichkeit etablieren, die die konventionellen Sprachen und Sichtweisen getrennt halten. (…) Die konventionellen Sprachen und Sichtweisen sind notwendig, wenn es darum geht, mit der Welt umzugehen, abgegrenzte konkrete Ziele zu erreichen. Aber in den wichtigsten Augenblicken haben wir oft erlebt, dass sie nicht halten. Wenn wir uns durch sie ganz dominieren lassen, führt der Weg zur Kontaktlosigkeit und Zerstörung. Unter anderem die Poesie sehe ich als Rezept gegen eine solche Entwicklung an.
April und Schweigen
Öde liegt der Frühling.
Der samtdunkle Wassergraben
kriecht neben mir
ohne Spiegelbilder.
Das einzige, was leuchtet,
sind gelbe Blumen.
In meinem Schatten werde ich getragen
wie eine Geige
in ihrem schwarzen Kasten.
Das einzige, was ich sagen will,
glänzt außer Reichweite
wie das Silber
beim Pfandleiher.
Zugegeben: viele seiner Gedichte sprühen nicht gerade von Hoffnung und Harmonie… Hier ein Frühlingsgedicht, ganz prosaisch:
Madrigal
Ich habe einen dunklen Wald geerbt, wohin ich selten gehe. Doch
kommt ein Tag, an dem Tote und Lebende ihre Plätze vertauschen.
Dann setzt sich der Wald in Bewegung. Wir sind nicht ohne Hoff-
nung. die schwersten Verbrechen bleiben unaufgeklärt, trotz des Ein-
satzes vieler Polizisten. Ganz so gibt es in unseren Leben irgendwo
eine unaufgeklärte große Liebe. Ich habe einen dunklen Wald geerbt,
doch heute gehe ich in den andern Wald, den hellen. Alles Lebende,
das singt, sich schlängelt, wedelt und kriecht! Es ist Frühling, und die
Luft ist sehr stark. Mein Examen habe ich an der Universität des Ver-
gessens gemacht und habe genauso leere Hände wie das Hemd auf der
Wäscheleine.
Tranströmer Cover
Gedichte aus:Tomas Tranströmer, Sämtliche Gedichte, Carl Hanser Verlag München 2011
Hi, Graugans,
danke für den Besuch, ich denke, Tomas Tranströmer hat es verdient. Die Nobelpreis-Vergabe 2011 war ja umstritten, aber das schmälert nicht seine Klasse.
Danke für die schöne Würdigung.
„Alles Lebende, das singt, sich schlängelt, wedelt und kriecht! Es ist Frühling, und die
Luft ist sehr stark. “ Das sind wirklich zuversichtlichere Töne. Interessant, wie er mit Vergessen und Entgleiten und Verbergen umgeht und doch so präsent ist.
ich hatte auf meinem nicht öffentlichen Blog zu seinem Todestag dieses Gedicht aus seinen Sämtlichen Gedichten stehen:
Die Steine, die wir geworfen, höre ich
fallen, glasklar durch die Jahre. Im Tal
fliegen die verworrenen Handlungen
des Augenblicks schreiend von
Wipfel zu Wipfel, verstummen
in Luft, dünner als die des Jetzt, gleiten
wie Schwalben von Gipfel
zu Gipfel, bis sie
die äußersten Plateaus erreicht haben
längs der Grenze des Seins. Dort fallen
all unsre Taten
glasklar
auf keinen andern Boden
als uns selbst.
Herzlichen Dank für diese wunderbaren Worte über und von Tomas Tranströmer!
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Hi, Graugans,
danke für den Besuch, ich denke, Tomas Tranströmer hat es verdient. Die Nobelpreis-Vergabe 2011 war ja umstritten, aber das schmälert nicht seine Klasse.
Viele Grüße herbertsteib
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Ich war damals der Meinung, wenn ein Schwede, dann Lars Gustafsson…
Aber was soll’s, schön, dass endlich mal wieder ein Lyriker den Preis bekam…
Und nun wäre endlich posthum der Rilke dran *lächel*
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Adieu, Tomas Tranströmer.
Danke für die schöne Würdigung.
„Alles Lebende, das singt, sich schlängelt, wedelt und kriecht! Es ist Frühling, und die
Luft ist sehr stark. “ Das sind wirklich zuversichtlichere Töne. Interessant, wie er mit Vergessen und Entgleiten und Verbergen umgeht und doch so präsent ist.
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ich hatte auf meinem nicht öffentlichen Blog zu seinem Todestag dieses Gedicht aus seinen Sämtlichen Gedichten stehen:
Die Steine, die wir geworfen, höre ich
fallen, glasklar durch die Jahre. Im Tal
fliegen die verworrenen Handlungen
des Augenblicks schreiend von
Wipfel zu Wipfel, verstummen
in Luft, dünner als die des Jetzt, gleiten
wie Schwalben von Gipfel
zu Gipfel, bis sie
die äußersten Plateaus erreicht haben
längs der Grenze des Seins. Dort fallen
all unsre Taten
glasklar
auf keinen andern Boden
als uns selbst.
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Glasklar und atemberaubend. Danke dafür.
Beste Grüße HerbertSteib
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