100.Geburtstag eines Literatur-Weltstars

In England, USA und weltweit wird der Literatur-Klassiker Dylan Thomas als Dichter gefeiert und heute an seinen 100. Geburtstag erinnert. In Deutschland ist der Dichter wohl eher nur Literaturliebhabern näher bekannt; auf jeden Fall gebührt ihm ein Essay in meinem LiteraturBlog.

Am 27. Oktober 1914, 87 Tage nach Kriegsbeginn, wurde Dylan Thomas in der zweitgrößten walisischen Stadt Swansea geboren. Er war das jüngste Kind. Sein Vater war Lehrer für Englisch am Gymnasium Swansea, das mag mit ein Grund gewesen sein, warum der junge Dylan früh seine Liebe zur Literatur entdeckte und bereits im Alter von vier Jahren Shakespeare und Marlowe rezitierte. Und mit acht Jahren schrieb er seine ersten Gedichte.
Am Gymnasium wurde er nicht nur mit den Literatur-Klassikern, sondern auch mit zeitgenössischen Texten konfrontiert. Und er war ein genauer Beobachter seiner Umwelt, was in vielen Erzählungen belegt ist.
„Die Seestadt war meine Welt. Außerhalb ging ein fremdes Wales, kohlenzergraben, gebirgig, flußdurchlaufen und meines Wissens voll von Chören und Schafen und hohen Geschichtenbuchhüten, seinen Geschäften nach, die mich nichts angingen.“
Erste Erfolge im Schreiben
1925 veröffentlichte eine Schülerzeitung, deren Chefredakteur er 1930 wurde, eines seiner Gedichte, worauf Dylan Thomas sehr stolz und was ihm Ansporn war. Das Schreiben war seine Passion geworden und nach einem mäßigen Schulabschluss wurde er ab 1931 Reporter bei Lokalzeitungen. Seinen wahren Ehrgeiz aber widmete er seinen Gedichten. Die Jahre zwischen 1931 und 1934 gehören zu den fruchtbarsten Phasen im gesamten Schaffen des Dichters.
1933 veröffentlicht die New English Weekly sein Gedicht „And death shall have no Dominion“ und kurz darauf gewannen zwei seiner Gedichte den ersten Preis eines Sonntagmagazins.
And death shall have no Dominion
And death shall have no dominion.
Dead man naked they shall be one
With the man in the wind and the west moon;
When their bones are picked clean and the clean bones gone,
They shall have stars at elbow and foot;
Though they go mad they shall be sane,
Though they sink through the sea they shall rise again;
Though lovers be lost love shall not;
And death shall have no dominion.
And death shall have no dominion.
Under the windings of the sea
They lying long shall not die windily;
Twisting on racks when sinews give way,
Strapped to a wheel, yet they shall not break;
Faith in their hands shall snap in two,
And the unicorn evils run them through;
Split all ends up they shan’t crack;
And death shall have no dominion.
And death shall have no dominion.
No more may gulls cry at their ears
Or waves break loud on the seashores;
Where blew a flower may a flower no more
Lift its head to the blows of the rain;
Though they be mad and dead as nails,
Heads of the characters hammer through daisies;
Break in the sun till the sun breaks down,
And death shall have no dominion.
Deutsche Fassung( Übersetzung Erich Fried) :
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
Die nackten Toten die sollen eins
Mit dem Mann im Wind und im Westmond sein;
Blankbeinig und bar des blanken Gebeins
Ruht ihr Arm und ihr Fuß auf Sternenlicht.
Wenn sie irr werden solln sie die Wahrheit sehn,
Wenn sie sinken ins Meer solln sie auferstehn.
Wenn die Liebenden fallen – die Liebe fällt nicht;
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
Die da liegen in Wassergewinden im Meer
Sollen nicht sterben windig und leer;
Nicht brechen die die ans Rad man flicht,
Die sich winden in Foltern, deren Sehnen man zerrt:
Ob der Glaube auch splittert in ihrer Hand
Und ob sie das Einhorn des Bösen durchrennt,
Aller Enden zerspellt, sie zerreißen nicht;
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
Keine Möwe mehr darf ins Ohr ihnen schrein
Keine Woge laut an der Küste versprühn;
Wo Blumen blühten darf sich keine mehr regen
Und heben den Kopf zu des Regens Schlägen;
Doch ob sie auch toll sind und tot wie Stein,
Ihr Kopf wird der blühende Steinbrech sein,
Der bricht auf in der Sonne bis die Sonne zerbricht,
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
1934 zieht Dylan Thomas nach London um und veröffentlicht weiter in verschiedenen Zeitschriften. Im Dezember erscheint sein erstes Buch mit dem bescheidenen Titel 18 poems.
1936 werden „Twenty-five Poems“ veröffentlicht mit einer sehr guten Resonanz.1937 heiratet Dylan Thomas Catlin McNamara. 1938 zieht das Ehepaar Thomas zurück nach Wales, in die kleine Küstenstadt Laugharne.
1939 erscheint „The World I Breathe“ in den USA. „The Map of Love“ wurde ebenfalls noch 1939 in England veröffentlicht, wurde aber ein Misserfolg, die Buchindustrie lag bei Kriegsausbruch am Boden, Papier war rationiert, die Menschen hatten keinen Sinn für Literatur. 1940, nachdem er der Einberufung entgangen war, wurde er Mitarbeiter der BBC und der Standard Films of Golden Square. Er verwirklichte Diskussionsrunden, Funkessays, Literaturbesprechungen, verfasste sogar Drehbücher für Dokumentarfilme.
Seine Popularität steigt ständig, privat gibt es aber eheliche Krisen, beide können nicht mit Geld umgehen. Dylan Thomas arbeitet regelmäßig, trinkt aber krankhaft. 1947-48 arbeitet er an diversen Filmskripts, besucht 1949 den kommunistischen Schriftstellerkongress in Prag und 1950 wird ein Traum für ihn wahr: mit finanzieller Unterstützung einer Wohltäterin und Sponsorin kann er in die USA übersiedeln, wo er insgesamt drei Vortragsreisen unternimmt, maßgebliche Leute des Literaturbetriebs kennenlernt und wie ein Star gefeiert wird. Bei Vielen galt er als der größte lebende Dichter. Under the Milkwood wurde uraufgeführt und sogar Strawinsky wollte von ihm das Libretto für eine Oper. 1952 hatte er mit seiner Frau im berühmten Chelsea Hotel von Manhattan ein Appartement gemietet, sie gaben ihr Geld beidhändig aus und zogen nachts durch die Bars.

Insbesondere in der White Horse Tavern, die sich bis heute gehalten hat, waren sie Stammgäste. Dylan Thomas und seine Frau verkehrten dort mit Persönlichkeiten der Literaturszene wie James Baldwin, Norman Mailer und Anais Nin. Seine Trinkeskapaden nahmen im November 1953 ein jähes Ende, als er in ein Koma fiel und schließlich im Chelsea Hotel verstarb.
Immer wieder wird Dylan Thomas mit dem französischen Schriftsteller Rimbaud verglichen. Wie dieser hatte er Neues in die Lyrik eingebracht, surrealistische und symbolistische Elemente, auch Einflüsse seiner dichterischen Vorfahren band er mit ein. Es sind dichte Verse und Geschichten voller lebensprallem Gehalt und fremdartig schönen Bildern.
Sein weltweit bekanntestes Werk, Under the Milkwood, beginnt so: „Es ist Frühling, mondlose Nacht in der kleinen Stadt, sternlos und bibelschwarz. die Kopfpflasterstraßen still, und der geduckte Liebespärchen- und Kaninchenwald humpelt unsichtbar hinab zu schlehenschwarzen, zähen, schwarzen, krähenschwarzen, fischerbootschaukelnden See.“
In den USA vor allem wird er oft als „Romantic Poet“ bezeichnet, ich denke das trifft es nicht umfassend wegen seiner eher expressionistischen Bilder, überhaupt lässt er sich kaum zu einer Richtung oder Gruppe zuordnen. „Ich werde von Tag zu Tag obskurer…“, sagt er über sein Schreiben. Seine leidenschaftliche Ergriffenheit für das Schreiben hat uns Einzigartiges hinterlassen. Wie bei sogenannten Stars heutzutage üblich, hat auch sein Lebenswandel als Bohemien und sein früher Tod mit zu einer Art Heldenverehrung beigetragen, was aber immer bleibt ist die Einmaligkeit seiner Verse und Geschichten. Er zieht alle Register der Dichtkunst in einer schwierigen Zeit, und: er will uns nicht bevormunden mit sogenannten unumstößlichen Wahrheiten und Botschaften.
Zum Abschluss dieser Würdigung mein Lieblingsgedicht von Dylan Thomas, an seinem 100. Geburtstag:
Dylan Thomas, 1914 – 1953
Do not go gentle into that good night,
Old age should burn and rave at close of day;
Rage, rage against the dying of the light.
Though wise men at their end know dark is right,
Because their words had forked no lightning they
Do not go gentle into that good night.
Good men, the last wave by, crying how bright
Their frail deeds might have danced in a green bay,
Rage, rage against the dying of the light.
Wild men who caught and sang the sun in flight,
And learn, too late, they grieved it on its way,
Do not go gentle into that good night.
Grave men, near death, who see with blinding sight
Blind eyes could blaze like meteors and be gay,
Rage, rage against the dying of the light.
And you, my father, there on the sad height,
Curse, bless, me now with your fierce tears, I pray.
Do not go gentle into that good night.
Rage, rage against the dying of the light.
deutsche Fassung(Übersetzung Wolfgang Hilbig)
Steige nicht sanft in dieses gute nichts,
das alter soll brennen, heulen vorm dunkel der nacht;
Rase, rase wider das sterben des lichts.
Wenn auch die weisen des dunkels rechte ansieht
wissen am end, da worte keinen blitzstrahl aufgebracht,
Sie steigen nicht sanft in dieses gute nichts.
Gute Menschen, nach letzter flut, die schreie glänzend bricht:
Ihr schwache kraft, die tanzen könnt in grüner bucht,
Raset, raset wider das sterben des lichts.
Ihr freien besangt, zu fassen, der sonne verfliegend gesicht,
Verstandet zu spät, des wegs, wo euch der gram gesucht,
Ihr steigt nicht sanft in dieses gute nichts.
Der todgeweihten würde, ihr augenlicht blind und verwischt
konnt flammen, meteoren gleich in fröhlicher pracht;
Raset, raset wider das sterben des lichts.
Und dir, mein vater, zur traurigen höhe flehe ich,
Fluch mir, segne mich nun, mit den tränen, stürmisch erwacht.
Steige nicht sanft in dieses gute nichts,
Rase, rase wider das sterben des lichts.
