Die Welt feiert Dylan Thomas

100.Geburtstag eines Literatur-Weltstars

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Der Dichter Dylan Thomas

In England, USA und weltweit wird der Literatur-Klassiker Dylan Thomas als Dichter gefeiert und heute an seinen 100. Geburtstag erinnert. In Deutschland ist der Dichter wohl eher nur Literaturliebhabern näher bekannt; auf jeden Fall gebührt ihm ein Essay in meinem LiteraturBlog.

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Geburtshaus des Dichters Dylan Thomas in Swansea

Am 27. Oktober 1914, 87 Tage nach Kriegsbeginn, wurde Dylan Thomas in der zweitgrößten walisischen Stadt Swansea geboren. Er war das jüngste Kind. Sein Vater war Lehrer für Englisch am Gymnasium Swansea, das mag mit ein Grund gewesen sein, warum der junge Dylan früh seine Liebe zur Literatur entdeckte und bereits im Alter von vier Jahren Shakespeare und Marlowe rezitierte. Und mit acht Jahren schrieb er seine ersten Gedichte.

Am Gymnasium wurde er nicht nur mit den Literatur-Klassikern, sondern auch mit zeitgenössischen Texten konfrontiert. Und er war ein genauer Beobachter seiner Umwelt, was in vielen Erzählungen belegt ist.

„Die Seestadt war meine Welt. Außerhalb ging ein fremdes Wales, kohlenzergraben, gebirgig, flußdurchlaufen und meines Wissens voll von Chören und Schafen und hohen Geschichtenbuchhüten, seinen Geschäften nach, die mich nichts angingen.“

Erste Erfolge im Schreiben

1925 veröffentlichte eine Schülerzeitung, deren Chefredakteur er 1930 wurde, eines seiner Gedichte, worauf Dylan Thomas sehr stolz und was ihm Ansporn war. Das Schreiben war seine Passion geworden und nach einem mäßigen Schulabschluss wurde er ab 1931 Reporter bei Lokalzeitungen. Seinen wahren Ehrgeiz aber widmete er seinen Gedichten. Die Jahre zwischen 1931 und 1934 gehören zu den fruchtbarsten Phasen im gesamten Schaffen des Dichters.

1933 veröffentlicht die New English Weekly sein Gedicht „And death shall have no Dominion“ und kurz darauf gewannen zwei seiner Gedichte den ersten Preis eines Sonntagmagazins.

And death shall have no Dominion

And death shall have no dominion.
Dead man naked they shall be one
With the man in the wind and the west moon;
When their bones are picked clean and the clean bones gone,
They shall have stars at elbow and foot;
Though they go mad they shall be sane,
Though they sink through the sea they shall rise again;
Though lovers be lost love shall not;
And death shall have no dominion.

And death shall have no dominion.
Under the windings of the sea
They lying long shall not die windily;
Twisting on racks when sinews give way,
Strapped to a wheel, yet they shall not break;
Faith in their hands shall snap in two,
And the unicorn evils run them through;
Split all ends up they shan’t crack;
And death shall have no dominion.

And death shall have no dominion.
No more may gulls cry at their ears
Or waves break loud on the seashores;
Where blew a flower may a flower no more
Lift its head to the blows of the rain;
Though they be mad and dead as nails,
Heads of the characters hammer through daisies;
Break in the sun till the sun breaks down,
And death shall have no dominion.

Deutsche Fassung( Übersetzung Erich Fried) :

Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben

Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
Die nackten Toten die sollen eins
Mit dem Mann im Wind und im Westmond sein;
Blankbeinig und bar des blanken Gebeins
Ruht ihr Arm und ihr Fuß auf Sternenlicht.
Wenn sie irr werden solln sie die Wahrheit sehn,
Wenn sie sinken ins Meer solln sie auferstehn.
Wenn die Liebenden fallen – die Liebe fällt nicht;
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.

Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
Die da liegen in Wassergewinden im Meer
Sollen nicht sterben windig und leer;
Nicht brechen die die ans Rad man flicht,
Die sich winden in Foltern, deren Sehnen man zerrt:
Ob der Glaube auch splittert in ihrer Hand
Und ob sie das Einhorn des Bösen durchrennt,
Aller Enden zerspellt, sie zerreißen nicht;
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.

Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.
Keine Möwe mehr darf ins Ohr ihnen schrein
Keine Woge laut an der Küste versprühn;
Wo Blumen blühten darf sich keine mehr regen
Und heben den Kopf zu des Regens Schlägen;
Doch ob sie auch toll sind und tot wie Stein,
Ihr Kopf wird der blühende Steinbrech sein,
Der bricht auf in der Sonne bis die Sonne zerbricht,
Und dem Tod soll kein Reich mehr bleiben.

 

1934 zieht Dylan Thomas nach London um und veröffentlicht weiter in verschiedenen Zeitschriften. Im Dezember erscheint sein erstes Buch mit dem bescheidenen Titel 18 poems.

 1936 werden „Twenty-five Poems“ veröffentlicht mit einer sehr guten Resonanz.1937 heiratet Dylan Thomas Catlin McNamara. 1938 zieht das Ehepaar Thomas zurück nach Wales, in die kleine Küstenstadt Laugharne.

1939 erscheint „The World I Breathe“ in den USA. „The Map of Love“ wurde ebenfalls noch 1939 in England veröffentlicht, wurde aber ein Misserfolg, die Buchindustrie lag bei Kriegsausbruch am Boden, Papier war rationiert, die Menschen hatten keinen Sinn für Literatur. 1940, nachdem er der Einberufung entgangen war, wurde er Mitarbeiter der BBC und der Standard Films of Golden Square. Er verwirklichte Diskussionsrunden, Funkessays, Literaturbesprechungen, verfasste sogar Drehbücher für Dokumentarfilme.

Seine Popularität steigt ständig, privat gibt es aber eheliche Krisen, beide können nicht mit Geld umgehen. Dylan Thomas arbeitet regelmäßig, trinkt aber krankhaft. 1947-48 arbeitet er an diversen Filmskripts, besucht 1949 den kommunistischen Schriftstellerkongress in Prag und 1950 wird ein Traum für ihn wahr: mit finanzieller Unterstützung einer Wohltäterin und Sponsorin kann er in die USA übersiedeln, wo er insgesamt drei Vortragsreisen unternimmt, maßgebliche Leute des Literaturbetriebs kennenlernt und wie ein Star gefeiert wird. Bei Vielen galt er als der größte lebende Dichter. Under the Milkwood wurde uraufgeführt und sogar Strawinsky wollte von ihm das Libretto für eine Oper. 1952 hatte er mit seiner Frau im berühmten Chelsea Hotel von Manhattan ein Appartement gemietet, sie gaben ihr Geld beidhändig aus und zogen nachts durch die Bars.

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Stammlokal vieler Künstler in Manhattan

Insbesondere in der White Horse Tavern, die sich bis heute gehalten hat, waren sie Stammgäste. Dylan Thomas und seine Frau verkehrten dort mit Persönlichkeiten der Literaturszene wie James Baldwin, Norman Mailer und Anais Nin. Seine Trinkeskapaden nahmen im November 1953 ein jähes Ende, als er in ein Koma fiel und schließlich im Chelsea Hotel verstarb.

Immer wieder wird Dylan Thomas mit dem französischen Schriftsteller Rimbaud verglichen. Wie dieser hatte er Neues in die Lyrik eingebracht, surrealistische und symbolistische Elemente, auch Einflüsse seiner dichterischen Vorfahren band er mit ein. Es sind dichte Verse und Geschichten voller lebensprallem Gehalt und fremdartig schönen Bildern.

Sein weltweit bekanntestes Werk, Under the Milkwood, beginnt so: „Es ist Frühling, mondlose Nacht in der kleinen Stadt, sternlos und bibelschwarz. die Kopfpflasterstraßen still, und der geduckte Liebespärchen- und Kaninchenwald humpelt unsichtbar hinab zu schlehenschwarzen, zähen, schwarzen, krähenschwarzen, fischerbootschaukelnden See.“

In den USA vor allem wird er oft als „Romantic Poet“ bezeichnet, ich denke das trifft es nicht umfassend wegen seiner eher expressionistischen Bilder, überhaupt lässt er sich kaum zu einer Richtung oder Gruppe zuordnen.  „Ich werde von Tag zu Tag obskurer…“, sagt er über sein Schreiben. Seine leidenschaftliche Ergriffenheit für das Schreiben hat uns Einzigartiges hinterlassen. Wie bei sogenannten Stars heutzutage üblich, hat auch sein Lebenswandel als Bohemien und sein früher Tod mit zu einer Art Heldenverehrung beigetragen, was aber immer bleibt ist die Einmaligkeit seiner Verse und Geschichten. Er zieht alle Register der Dichtkunst in einer schwierigen Zeit, und: er will uns nicht bevormunden mit sogenannten unumstößlichen Wahrheiten und Botschaften.

Zum Abschluss dieser Würdigung mein Lieblingsgedicht von Dylan Thomas, an seinem 100. Geburtstag:

 

Dylan Thomas, 1914 – 1953

 

Do not go gentle into that good night,

Old age should burn and rave at close of day;

Rage, rage against the dying of the light.

 

Though wise men at their end know dark is right,

Because their words had forked no lightning they

Do not go gentle into that good night.

 

Good men, the last wave by, crying how bright

Their frail deeds might have danced in a green bay,

Rage, rage against the dying of the light.

 

Wild men who caught and sang the sun in flight,

And learn, too late, they grieved it on its way,

Do not go gentle into that good night.

 

Grave men, near death, who see with blinding sight

Blind eyes could blaze like meteors and be gay,

Rage, rage against the dying of the light.

 

And you, my father, there on the sad height,

Curse, bless, me now with your fierce tears, I pray.

Do not go gentle into that good night.

Rage, rage against the dying of the light.

 

 

deutsche Fassung(Übersetzung Wolfgang Hilbig)

Steige nicht sanft in dieses gute nichts,

das alter soll brennen, heulen vorm dunkel der nacht;

Rase, rase wider das sterben des lichts.

Wenn auch die weisen des dunkels rechte ansieht

wissen am end, da worte keinen blitzstrahl aufgebracht,

Sie steigen nicht sanft in dieses gute nichts.

Gute Menschen, nach letzter flut, die schreie glänzend bricht:

Ihr schwache kraft, die tanzen könnt in grüner bucht,

Raset, raset wider das sterben des lichts.

Ihr freien besangt, zu fassen, der sonne verfliegend gesicht,

Verstandet zu spät, des wegs, wo euch der gram gesucht,

Ihr steigt nicht sanft in dieses gute nichts.

 

Der todgeweihten würde, ihr augenlicht blind und verwischt

konnt flammen, meteoren gleich in fröhlicher pracht;

Raset, raset wider das sterben des lichts.

Und dir, mein vater, zur traurigen höhe flehe ich,

Fluch mir, segne mich nun, mit den tränen, stürmisch erwacht.

Steige nicht sanft in dieses gute nichts,

Rase, rase wider das sterben des lichts.

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Grab des Dichters in Laugharne

 

 

Rezension:Bert Brecht: Frühe Tagebücher

Beeinflusst von einer gründlichen schulischen Überdosierung, nehme ich an, ist eine weiterführende Brecht-Lektüre bei mir lange auf Eis gelegen. Seine frühen Tagebücher, die ja erst in den Achtzigern öffentlich wurden, kamen mir beim Stöbern in der Stadtbibliothek in der hervorragend kommentierten Gesamtausgabe von 1994 in die Hände — und dies wurde jetzt doch ein größeres Leseprojekt als gedacht, denn wie wäre das Tagebuch zu verstehen, ohne seine Stücke Baal, Trommeln in der Nacht und  Im Dickicht der Städte zu kennen , mit denen sich der junge Brecht  nach dem ersten Weltkrieg herumschlug.

Brecht Literaturblog
Der junge Brecht in Augsburg

Die Eintragungen in Tagebüchern beginnen im Mai 1913, als Eugen Berthold Brecht als 15-Jähriger das Kgl. Bayerische Realgymnasium in Augsburg besuchte. Gleich in den allerersten Eintragungen ist zu lesen: Habe wieder Herzbeschwerden… Mein Herz ist sehr rebellisch. Ich hatte Angst. Eine schreckliche Angst. Der Junge leidet zeitlebens an einer Herzneurose,  ist in Kur mit seiner Mutter, die ebenfalls früh kränklich ist, in Bad Steben. Sein Vater, der sich hochgedient hat aus einfachen Verhältnissen zum Direktor einer Papierfabrik, erkrankt ebenfalls schwer. Dies alles hält der junge Eugen fest. Die Gedichte, die er einstreut, befasssen sich neben jahreszeitlichen Einträgen mit biblischen Themen, z.B. Judas Ischariot, Emaus, Gethsemane. Er arbeitet bereits an Dramenentwürfen und es gibt im Gedicht Arbeiter schon Hinweise auf eine sozialkritische Haltung und Sympathie mit den Proletariern; die Brechts wohnten  in Augsburg ja auch in einer Arbeitersiedlung der väterlichen Firma.   Brecht ist einer der Mitbegründer der Schülerzeitung Die Ernte und 1914 im Alter von 16 Jahren erscheint sein erstes Gedicht in den Augsburger Neueste Nachrichten, noch unter dem Pseudonym Berthold Eugen. Viel vaterländisch Gereimtes, viel Expressionismus noch. Die verfehlte Pädagogik dieser Zeit mit eindeutig deutsch- nationalem Einschlag zeigte seine Wirkung.

 

 Vorbilder: Die poetes maudits

 

Als der nächste große Abschnitt des Tagebuches einsetzt, Juni 1920,- der Krieg ist vorbei-, ist Brecht als Student der Medizin in München immatrikuliert. Er ist inzwischen Vater eines nach Wedekind benannten Sohnes Frank, den man im Allgäu versteckt aufwachsen lässt, um der Mutter Paula Banholzer die „Schande“ in Augsburg zu ersparen. Er hat das Stück Baal fertiggestellt und überarbeitet gerade Trommeln in der Nacht

Früh zeigt sich, dass Brecht nichts dem Zufall überlässt und nicht gewillt ist, für die Schublade zu schreiben. Nachdem er bereits in der Tageszeitung publiziert hat, fühlt er sich wie ein erwachsener Autor und mit entsprechender Arroganz betrachtet und beurteilt er seine Umwelt.

Wie mich dieses Deutschland langweilt! Es ist ein gutes mittleres Land, schön darin die blassen Farben und die Flächen, aber welche Einwohner! Ein verkommener Bauernstand, dessen Rohheit aber keine fabelhaften Unwesen gebiert, sondern eine stille Vertierung, ein verfetteter Mittelstand und eine matte Intellektuelle!  

Brecht liest Francois Villon, Rimbaud, Verlaine und er verehrt Frank Wedekind. Er will noch wilder dichten als diese. Er ist kein Bewohner des Elfenbeinturmes, in den letzten zwei Kriegsjahren trägt er seine Lyrik  buchstäblich auf die Straße. Mit Lampions zieht die Brecht-Clique zum Schrecken vieler Bürger um die Häuser, durch die Vorstadtkneipen mit Liedern und Balladen zur Klampfe. 

Er ist geheilt vom vaterländischen Taumel und Schwindel nachdem er in einem Lazarett als Sanitätssoldat Dienst getan hat und die Fronterlebnisse der Kameraden mit anhören musste. Er möchte nah an den Menschen sein, keinen Ideologien oder Theorien anhängen,  geht auf Volksfeste in Augsburg und München: Immer streune ich abends übern Plärrer, der einem seine Negermusiken mit Keulenschlägen eintreibt: Man bringt sie nachts nimmer aus den Hautfalten. Brecht scheint von seinem Genie voll überzeugt,  bespricht seine Entwürfe mit Lion Feuchtwanger, überhaupt versteht er es, seine Umgebung für sich dienstbar zu machen. Er war gut vernetzt, würde man heute sagen,  allerdings bleibt vieles im Entwurfstadium stecken und seine Sorge geht dahin, wie er mit dem Schreiben seine Existenz sichern kann. Er macht aus sich einen Typ mit Wiedererkennungswert, angefangen von seiner nachlässigen Kleidung,  in Lederjacke und Schiebermütze antibürgerliche Haltung ausdrückend, und er will auffallen, im Blickfeld bleiben. In der Dachkammer im elterlichen Haus, dem Kraal, dichtet und komponiert er mit seiner Clique Bänkellieder und Moritaten, die später teilweise in den Gedichtband Hauspostille aufgenommen werden. 

„Sie vermitteln den stärksten Eindruck, den unsereiner in der letzten Zeit in deutscher Lyrik gefunden hat. Es mag sich nun jeder seine Lieblingsstücke heraussuchen und auswendig lernen.“, schreibt Kurt Tucholsky zur frühen Brechtschen Lyrik.

Literaturblog
Bertolt Brecht (1898-1956)

1921 pendelt Brecht immer noch zwischen Augsburg und München, aber er belegt keine Vorlesungen mehr. Er ist in eine weitere Affäre verstrickt mit der Opernsängerin Marianne Zoff, die von ihm schwanger ist, er verspürt Verantwortung für seinen Sohn und dessen Mutter Paula Banholzer(genannt Bi), schreibt Filmdrehbücher, die aber abgelehnt werden, kommentiert Theateraufführungen in der Regionalpresse, um wenigstens ein paar Einnahmen zu erzielen. Sein Stück Baal, das er wieder und wieder umarbeitet, ist immer noch an keiner Bühne unterzubringen und bei all dem hat er auch noch einen Prozess wegen einer Beleidigungsklage am Hals. Und da ist auch der Vater, der die schriftstellerischen Ambitionen des Sohnes zunehmend misstrauisch betrachtet. Brecht wird oft beschrieben als kraftmeierischer Dandy und Angeber mit der aufdringlichen Neigung, andere zu schulmeistern, seine Tagebucheinträge relativieren dieses Bild allerdings: Ich bins müde. Die Affären verbrauchen mich, der Film deckt mich zu, die Feinde scharren mich ein. Was soll ich mit der schwangeren Frau? Und er hat nur noch die Tagträume: Ich muss mich angeilen zum Geldverdienen, sonst mag ich nicht. Die Tage sind grau, ich stehe nieder im Kurs…immerfort rechne ich in fabulösen Zahlen, „Brillantenfresser“ 10000, „Mysterium“ 5000, „Liebematch“ 5000, „Trommeln“ 50000, „Preisfilm“ 5000.
Wenn man Hunger hat, ist auch der Traum vom großen Geld  ein geeignetes Antriebsmoment für Dichter, das war schon immer so.

 

Schreiben ist Überleben 

 

Die Zeit von November 1921 bis April 1922 verbringt Brecht hauptsächlich in Berlin. Immerhin ist Trommeln in der Nacht inzwischen in den Münchner Kammerspielen uraufgeführt. Eigentlich ist das Stück nicht fertig, er feilt immer weiter, er ist Perfektionist. Selbstzweifel und große Stimmungsschwankungen vertraut er dem Tagebuch an, schreibt er nicht, dann ist es nicht das wahre Leben:  Die Tage sind leer ausgespieene Pflaumenhäute. In Berlin richtet sich das Augenmerk Brechts auf die Großstadt. Er hat Upton Sinclair gelesen(The Jungle) und Kipling und in seiner hartnäckigen und gnadenlosen Menschenbeobachtung wird die Fremdheit zwischen den Menschen, die Orientierungslosigkeit und Einsamkeit im Dschungel der Großstadt zum Thema. Allerdings ist er im Gegensatz zu den Expressionisten mit Ethos und Pathos wesentlich haushälterischer.

Der blutjunge „Stückeschreiber“, wie er sich selbst nennt, erfährt bereits eine hohe Ehrung: Er erhält den Kleistpreis des Jahres 1922. Der Literaturkritiker und spätere Dramaturg Herbert Ihering schreibt: Der vierundzwanzigjährige Dichter Bert Brecht hat über Nacht das dichterische Antlitz Deutschlands verändert. Mit Bert Brecht ist ein neuer Ton, eine neue Melodie, eine neue Vision in der Zeit.  Es war für mich eine Entdeckung, wie souverän Bert Brecht über die Gattung Lyrik verfügte schon bei Beginn seines Schaffens. Auch wenn das Lesen keine Aufführung ersetzt: ich war auch begeistert von der Kraft und Experimentierlust seiner Stücke Baal und Trommeln in der Nacht, der Aufsässigkeit, der unerschrockenen, frechen Ausdrucksweise, mit der er die bürgerliche Welt herausfordert, vielleicht auch die Abwesenheit von Ideologie und Theorie. Dass er durchaus auch hie und da auf einen hilfreichen Skandal geschielt hat, manchmal etwas viel Testosteron im Spiel war, ist mir dabei egal. Auch dass er posthum noch mit Häme bedacht wurde als Staatsdichter der DDR und man ihn insbesondere nach dem Scheitern des realen Sozialismus vielfach totsagte,  kann meine Bewunderung für ihn nicht berühren. Seine Stücke werden nach wie vor gespielt und insbesondere seine Lyrik erfährt immer von Neuem eine Aufwertung. Brechts  Kalendergeschichten übrigens gehören heute noch zu den beliebtesten Büchern der Deutschen.

»Schreiben Sie, daß ich unbequem war und es auch nach meinem Tod zu bleiben gedenke. Es gibt auch dann noch gewisse Möglichkeiten.«

Brecht Geburtshaus und Museum, Augsburg
Brecht Geburtshaus und Museum, Augsburg

Aus der Hauspostille(veröffentlicht 1927) ein Gedicht, geschrieben 1921 im Zug nach Berlin:

 

Erinnerung an die Marie A.

1

An jenem Tag im blauen Mond September

Still unter einem jungen Pflaumenbaum

Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe

In meinem Arm wie einen holden Traum

Und über uns im schönen Sommerhimmel

War eine Wolke, die ich lange sah

Sie war sehr weiß und ungeheuer oben

Und als ich aufsah, war sie nimmer da.

 

2

Seit jenem Tag sind viele, viele Monde

Geschwommen still hinunter und vorbei

Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen

Und fragst du mich, was mit der Liebe sei?

So sag ich dir: Ich kann mich nicht erinnern.

Und doch, gewiß, ich weiß schon, was du meinst

Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer

Ich weiß nur mehr: Ich küßte es dereinst.

 

3

Und auch den Kuß, ich hätt ihn längst vergessen

Wenn nicht die Wolke dagewesen wär

Die weiß ich noch und werd ich immer wissen

Sie war sehr weiß und kam von oben her.

Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer

Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind

Doch jene Wolke blühte nur Minuten

Und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind.

 

Tagebuchzitate und Gedicht aus:Bertolt Brecht, Werke, Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Suhrkamp Verlag,

Bilder: Suhrkamp Verlag; Stadt Augsburg

Lesenswert:

http://brechtfestival-blog.de/?p=194(Zur Flüchtlingsproblematik)

https://mkammerspiele.wordpress.com/2015/05/20/bertolt-brecht-und-die-munchner-kammerspiele/

http://www.basisfilm.de/HJB/hundepdf/HJB-FB.pdf(Hundert Jahre Bertolt Brecht)

 

Bert Brecht: Frühe Tagebücher

Beeinflusst von einer gründlichen schulischen Überdosierung, nehme ich an, ist eine weiterführende Brecht-Lektüre bei mir lange auf Eis gelegen. Seine frühen Tagebücher, die ja erst in den Achtzigern öffentlich wurden, kamen mir beim Stöbern in der Stadtbibliothek in der hervorragend kommentierten Gesamtausgabe von 1994 in die Hände — und dies wurde jetzt doch ein größeres Leseprojekt als gedacht, denn wie wäre das Tagebuch zu verstehen, ohne seine Stücke Baal, Trommeln in der Nacht und  Im Dickicht der Städte zu kennen , mit denen sich der junge Brecht  nach dem ersten Weltkrieg herumschlug.

Brecht Literaturblog
Der junge Brecht in Augsburg

Die Eintragungen in Tagebüchern beginnen im Mai 1913, als Eugen Berthold Brecht als 15-Jähriger das Kgl. Bayerische Realgymnasium in Augsburg besuchte. Gleich in den allerersten Eintragungen ist zu lesen: Habe wieder Herzbeschwerden… Mein Herz ist sehr rebellisch. Ich hatte Angst. Eine schreckliche Angst. Der Junge leidet zeitlebens an einer Herzneurose,  ist in Kur mit seiner Mutter, die ebenfalls früh kränklich ist, in Bad Steben. Sein Vater, der sich hochgedient hat aus einfachen Verhältnissen zum Direktor einer Papierfabrik, erkrankt ebenfalls schwer. Dies alles hält der junge Eugen fest. Die Gedichte, die er einstreut, befasssen sich neben jahreszeitlichen Einträgen mit biblischen Themen, z.B. Judas Ischariot, Emaus, Gethsemane. Er arbeitet bereits an Dramenentwürfen und es gibt im Gedicht Arbeiter schon Hinweise auf eine sozialkritische Haltung und Sympathie mit den Proletariern; die Brechts wohnten  in Augsburg ja auch in einer Arbeitersiedlung der väterlichen Firma.   Brecht ist einer der Mitbegründer der Schülerzeitung Die Ernte und 1914 im Alter von 16 Jahren erscheint sein erstes Gedicht in den Augsburger Neueste Nachrichten, noch unter dem Pseudonym Berthold Eugen. Viel vaterländisch Gereimtes, viel Expressionismus noch. Die verfehlte Pädagogik dieser Zeit mit eindeutig deutsch- nationalem Einschlag zeigte seine Wirkung.

 

 Vorbilder: Die poetes maudits

 

Als der nächste große Abschnitt des Tagebuches einsetzt, Juni 1920,- der Krieg ist vorbei-, ist Brecht als Student der Medizin in München immatrikuliert. Er ist inzwischen Vater eines nach Wedekind benannten Sohnes Frank, den man im Allgäu versteckt aufwachsen lässt, um der Mutter Paula Banholzer die „Schande“ in Augsburg zu ersparen. Er hat das Stück Baal fertiggestellt und überarbeitet gerade Trommeln in der Nacht

Früh zeigt sich, dass Brecht nichts dem Zufall überlässt und nicht gewillt ist, für die Schublade zu schreiben. Nachdem er bereits in der Tageszeitung publiziert hat, fühlt er sich wie ein erwachsener Autor und mit entsprechender Arroganz betrachtet und beurteilt er seine Umwelt.

Wie mich dieses Deutschland langweilt! Es ist ein gutes mittleres Land, schön darin die blassen Farben und die Flächen, aber welche Einwohner! Ein verkommener Bauernstand, dessen Rohheit aber keine fabelhaften Unwesen gebiert, sondern eine stille Vertierung, ein verfetteter Mittelstand und eine matte Intellektuelle!  

Brecht liest Francois Villon, Rimbaud, Verlaine und er verehrt Frank Wedekind. Er will noch wilder dichten als diese. Er ist kein Bewohner des Elfenbeinturmes, in den letzten zwei Kriegsjahren trägt er seine Lyrik  buchstäblich auf die Straße. Mit Lampions zieht die Brecht-Clique zum Schrecken vieler Bürger um die Häuser, durch die Vorstadtkneipen mit Liedern und Balladen zur Klampfe. 

Er ist geheilt vom vaterländischen Taumel und Schwindel nachdem er in einem Lazarett als Sanitätssoldat Dienst getan hat und die Fronterlebnisse der Kameraden mit anhören musste. Er möchte nah an den Menschen sein, keinen Ideologien oder Theorien anhängen,  geht auf Volksfeste in Augsburg und München: Immer streune ich abends übern Plärrer, der einem seine Negermusiken mit Keulenschlägen eintreibt: Man bringt sie nachts nimmer aus den Hautfalten. Brecht scheint von seinem Genie voll überzeugt,  bespricht seine Entwürfe mit Lion Feuchtwanger, überhaupt versteht er es, seine Umgebung für sich dienstbar zu machen. Er war gut vernetzt, würde man heute sagen,  allerdings bleibt vieles im Entwurfstadium stecken und seine Sorge geht dahin, wie er mit dem Schreiben seine Existenz sichern kann. Er macht aus sich einen Typ mit Wiedererkennungswert, angefangen von seiner nachlässigen Kleidung,  in Lederjacke und Schiebermütze antibürgerliche Haltung ausdrückend, und er will auffallen, im Blickfeld bleiben. In der Dachkammer im elterlichen Haus, dem Kraal, dichtet und komponiert er mit seiner Clique Bänkellieder und Moritaten, die später teilweise in den Gedichtband Hauspostille aufgenommen werden. 

„Sie vermitteln den stärksten Eindruck, den unsereiner in der letzten Zeit in deutscher Lyrik gefunden hat. Es mag sich nun jeder seine Lieblingsstücke heraussuchen und auswendig lernen.“, schreibt Kurt Tucholsky zur frühen Brechtschen Lyrik.

Literaturblog
Bertolt Brecht (1898-1956)

1921 pendelt Brecht immer noch zwischen Augsburg und München, aber er belegt keine Vorlesungen mehr. Er ist in eine weitere Affäre verstrickt mit der Opernsängerin Marianne Zoff, die von ihm schwanger ist, er verspürt Verantwortung für seinen Sohn und dessen Mutter Paula Banholzer(genannt Bi), schreibt Filmdrehbücher, die aber abgelehnt werden, kommentiert Theateraufführungen in der Regionalpresse, um wenigstens ein paar Einnahmen zu erzielen. Sein Stück Baal, das er wieder und wieder umarbeitet, ist immer noch an keiner Bühne unterzubringen und bei all dem hat er auch noch einen Prozess wegen einer Beleidigungsklage am Hals. Und da ist auch der Vater, der die schriftstellerischen Ambitionen des Sohnes zunehmend misstrauisch betrachtet. Brecht wird oft beschrieben als kraftmeierischer Dandy und Angeber mit der aufdringlichen Neigung, andere zu schulmeistern, seine Tagebucheinträge relativieren dieses Bild allerdings: Ich bins müde. Die Affären verbrauchen mich, der Film deckt mich zu, die Feinde scharren mich ein. Was soll ich mit der schwangeren Frau? Und er hat nur noch die Tagträume: Ich muss mich angeilen zum Geldverdienen, sonst mag ich nicht. Die Tage sind grau, ich stehe nieder im Kurs…immerfort rechne ich in fabulösen Zahlen, „Brillantenfresser“ 10000, „Mysterium“ 5000, „Liebematch“ 5000, „Trommeln“ 50000, „Preisfilm“ 5000.
Wenn man Hunger hat, ist auch der Traum vom großen Geld  ein geeignetes Antriebsmoment für Dichter, das war schon immer so.

 

Schreiben ist Überleben 

 

Die Zeit von November 1921 bis April 1922 verbringt Brecht hauptsächlich in Berlin. Immerhin ist Trommeln in der Nacht inzwischen in den Münchner Kammerspielen uraufgeführt. Eigentlich ist das Stück nicht fertig, er feilt immer weiter, er ist Perfektionist. Selbstzweifel und große Stimmungsschwankungen vertraut er dem Tagebuch an, schreibt er nicht, dann ist es nicht das wahre Leben:  Die Tage sind leer ausgespieene Pflaumenhäute. In Berlin richtet sich das Augenmerk Brechts auf die Großstadt. Er hat Upton Sinclair gelesen(The Jungle) und Kipling und in seiner hartnäckigen und gnadenlosen Menschenbeobachtung wird die Fremdheit zwischen den Menschen, die Orientierungslosigkeit und Einsamkeit im Dschungel der Großstadt zum Thema. Allerdings ist er im Gegensatz zu den Expressionisten mit Ethos und Pathos wesentlich haushälterischer.

Der blutjunge „Stückeschreiber“, wie er sich selbst nennt, erfährt bereits eine hohe Ehrung: Er erhält den Kleistpreis des Jahres 1922. Der Literaturkritiker und spätere Dramaturg Herbert Ihering schreibt: Der vierundzwanzigjährige Dichter Bert Brecht hat über Nacht das dichterische Antlitz Deutschlands verändert. Mit Bert Brecht ist ein neuer Ton, eine neue Melodie, eine neue Vision in der Zeit.  Es war für mich eine Entdeckung, wie souverän Bert Brecht über die Gattung Lyrik verfügte schon bei Beginn seines Schaffens. Auch wenn das Lesen keine Aufführung ersetzt: ich war auch begeistert von der Kraft und Experimentierlust seiner Stücke Baal und Trommeln in der Nacht, der Aufsässigkeit, der unerschrockenen, frechen Ausdrucksweise, mit der er die bürgerliche Welt herausfordert, vielleicht auch die Abwesenheit von Ideologie und Theorie. Dass er durchaus auch hie und da auf einen hilfreichen Skandal geschielt hat, manchmal etwas viel Testosteron im Spiel war, ist mir dabei egal. Auch dass er posthum noch mit Häme bedacht wurde als Staatsdichter der DDR und man ihn insbesondere nach dem Scheitern des realen Sozialismus vielfach totsagte,  kann meine Bewunderung für ihn nicht berühren. Seine Stücke werden nach wie vor gespielt und insbesondere seine Lyrik erfährt immer von Neuem eine Aufwertung. Brechts  Kalendergeschichten übrigens gehören heute noch zu den beliebtesten Büchern der Deutschen.

»Schreiben Sie, daß ich unbequem war und es auch nach meinem Tod zu bleiben gedenke. Es gibt auch dann noch gewisse Möglichkeiten.«

Brecht Geburtshaus und Museum, Augsburg
Brecht Geburtshaus und Museum, Augsburg

Aus der Hauspostille(veröffentlicht 1927) ein Gedicht, geschrieben 1921 im Zug nach Berlin:

 

Erinnerung an die Marie A.

1

An jenem Tag im blauen Mond September

Still unter einem jungen Pflaumenbaum

Da hielt ich sie, die stille bleiche Liebe

In meinem Arm wie einen holden Traum

Und über uns im schönen Sommerhimmel

War eine Wolke, die ich lange sah

Sie war sehr weiß und ungeheuer oben

Und als ich aufsah, war sie nimmer da.

 

2

Seit jenem Tag sind viele, viele Monde

Geschwommen still hinunter und vorbei

Die Pflaumenbäume sind wohl abgehauen

Und fragst du mich, was mit der Liebe sei?

So sag ich dir: Ich kann mich nicht erinnern.

Und doch, gewiß, ich weiß schon, was du meinst

Doch ihr Gesicht, das weiß ich wirklich nimmer

Ich weiß nur mehr: Ich küßte es dereinst.

 

3

Und auch den Kuß, ich hätt ihn längst vergessen

Wenn nicht die Wolke dagewesen wär

Die weiß ich noch und werd ich immer wissen

Sie war sehr weiß und kam von oben her.

Die Pflaumenbäume blühn vielleicht noch immer

Und jene Frau hat jetzt vielleicht das siebte Kind

Doch jene Wolke blühte nur Minuten

Und als ich aufsah, schwand sie schon im Wind.

 

Tagebuchzitate und Gedicht aus:Bertolt Brecht, Werke, Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Suhrkamp Verlag,

Bilder: Suhrkamp Verlag; Stadt Augsburg

Lesenswert:

http://brechtfestival-blog.de/?p=194(Zur Flüchtlingsproblematik)

https://mkammerspiele.wordpress.com/2015/05/20/bertolt-brecht-und-die-munchner-kammerspiele/

http://www.basisfilm.de/HJB/hundepdf/HJB-FB.pdf(Hundert Jahre Bertolt Brecht)

 

Georg Trakl- Noch ein Jahrhundertautor

Österreich- Zentrum der Kunst um die Jahrhundertwende.

Fotografie von C.P. Wagner um 1910Georg Trakl ist heute vor 100 Jahren, am 3. November 2014, bei Krakau gestorben. Bis heute ist er kein Vergessener, im Gegenteil: sein Werk erfährt auch heute noch wachsende Wertschätzung.
Wien war um die Jahrhundertwende schon länger eines der Zentren der Kunst in Europa, jetzt wurde es neben Berlin auch noch das Literatur-Mekka im deutschsprachigen Bereich. In Deutschland hatte der aufkommende Naturalismus eine neue Epoche angekündigt. Die österreichischen Künstler aber waren weniger dogmatisch und es herrschte eine große Vielfalt an Entfaltungsmöglichkeiten. Das Nebeneinander unterschiedlicher Stilkonzeptionen und Auffassungen von der Funktion der Literatur war entschieden ‚modern‘.

Das kurze Leben

Georg Trakl hatte schon früh mit dem Schreiben begonnen, erstaunlicherweise mit Theaterstücken.
Er wurde 1887 in Salzburg als Sohn eines Eisenhändlers geboren. In der Schule, die er nach der Mittleren Reife beendete, fiel er wegen seiner Zurückgezogenheit und Menschenscheu auf. 1892 war seine Schwester Margarete geboren worden, mit der ihn eine tiefe, zum Teil inzestuöse Liebe verband, die bis zu seinem Tode andauerte. Nach der Schule machte er eine Apothekerlehre und schloss daran ein Pharmaziestudium an, welches damals noch ohne Matura absolviert werden konnte. Nebenher schrieb er, zwei seiner Theaterstücke wurden, allerdings ohne Erfolg, im Salzburger Stadttheater aufgeführt. Bereis als Jugendlicher machte er Erfahrungen mit Drogen. Zu Beginn des ersten Weltkrieges meldete er sich als Militärapotheker. Die erlebten Gräuel während der Schlacht bei Grodek stießen ihn in tiefe Verzweiflung, er erlitt einen Nervenzusammenbruch und starb nach einer Überdosis Kokain.

Ein Außenseiter blieb der 1887 geborene Autor, weil er fernab vom Getümmel der literarischen Zentren seine Werke verfasste. Und er wäre wahrscheinlich gänzlich unbekannt geblieben, hätte nicht Ludwig von Ficker, der Herausgeber der Zeitschrift ‚Der Brenner‘ (Innsbruck, 1910-1954) sein Talent entdeckt und eine erste Gedichtauswahl veröffentlicht. Seine frühen Werke könnte man am ehesten dem Impressionismus zuordnen, wir sehen Jahreszeitengedichte, etwas resignative, traurige Verse. Die einsamen, nur halb bewussten Regungen und Gedanken.

Die bunte dunkle Landschaft der Gedichte

Für viele sind seine Werke hermetisch. Ich kann mich erinnern, wie ich als junger Gymnasiast mir einzelne Verse oder Strophen von Trakl-Gedichten notierte, so als sei er nur in Bruchstücken ohne Schaden zu nehmen ‚genießbar‘. Aber das ist nur eine nachträgliche Erklärung, Trakl passte einfach an vielen Tagen zu pubertären Befindlichkeiten.
Es ist die Melancholie und die Musikalität seiner Verse, die so anziehend ist, auch wenn das Verstehen sich auf den ersten Blick nicht immer einstellt. Ein Trakl-Gedicht kann man wie einen Song ziemlich leicht erkennen, wenn man sich einmal mit einigen seiner Werke vertraut gemacht hat.
Schwarzer Regen, blaue Finsternis, weißer Schlaf, blaues Lachen, roter Wind, diese Farbbilder finden wir bei ihm.
Wenn bei Trakl ein Gedicht mit ‚Romanze der Nacht‘ betitelt ist, kann man schon erahnen, welche Art von Romantik jetzt folgt:
…Die Mutter leis‘ im Schlafe singt.
Sehr friedlich schaut zur Nacht das Kind
Mit Augen, die ganz wahrhaft sind.
Im Hurenhaus Gelächter klingt…

Die Welt ist voll Trauer und Beklemmung, rätselhafte Angst geht um.

Das Gedicht ‚Heiterer Frühling‘ enthält Zwiespältiges:

…An Weiden baumeln Kätzchen sacht im Wind,
Sein traurig Lied singt träumend ein Soldat…

Es sieht fast danach aus, als wolle uns der Dichter an der Nase herumführen. Oder zurufen: hegt ja keine falschen Hoffnungen!
Trakls Werk ist so schmal wie das von Rimbaud, von dem er offensichtlich beeinflusst war.
Nicht aus Vaterandsliebe, aus Verzweiflung oder gar Todessehnsucht ist er freiwillig in den Krieg gezogen. Kurz nach seinem Tod ist sein zweiter Gedichtband erschienen, ‚Sebastian im Traum‘. Bei einigen dieser Gedichte verschwimmt die Grenze zur Prosa, Wörter sind nach ihrem Klang geordnet:
Stille wohnt
An deinem Mund der herbstliche Mond,
Trunken von Mohnsaft dunkler Gesang;

Blaue Blume,
Die leise tönt in vergilbtem Gestein.
(aus:’Verklärung‘)

Die schwierige Beziehung zu seiner Schwester hat sich bestimmt in Trakls Dichtung niedergeschlagen. Die Figur der Schwester begegnet einem immer wieder.

Es gibt zahlreiche Vertonungen seiner Gedichte , möglicherweise ein Versuch, ein Klärungsmoment ins Dunkel zu bringen.
„Es ist ein so namenloses Unglück, wenn einem die Welt entzweibricht“, schrieb er ein Jahr vor seinem Tod an einen Freund.
Er fand keine Heimat in der Welt des Dinglichen oder Vernünftigen. Deshalb haben wir seine Verse, deshalb haben wir seine blaue Landschaft, die Sehnsucht nach Heilung.grab2

Sein Grab hat der Dichter auf dem Mühlauer Friedhof, wenige Kilometer von Innsbruck entfernt.

Über den weißen Weiher
sind die wilden Vögel fortgezogen.
Am Abend weht von unseren Sternen ein eisiger Wind.